Der weiß schon, wann es genug ist – der hat doch Spaß!

Viele Hunde werden heute als weiteres Familienmitglied angeschafft. Sie leben in der Familie, sollen dasselbe erleben wie die menschlichen Familienmitglieder und es soll ihnen gut gehen!

So wird in freudiger Erwartung der Hundezwerg abgeholt. Seine Bedürfnisse sollen alle befriedigt werden, es soll ihm so richtig gut gehen und bloß an nichts fehlen. Das Hundekind darf die Wohnung frei erkunden, sich aufhalten wo es möchte, bei seinen Streicheleinheiten einfordern, wird fleißig bespielt, nie allein gelassen und überall mit hingenommen. Man bereitet ihm den Himmel auf Erden. Die ersten Tage ist alles ganz prima. Die Freude ist groß. Doch so langsam kommt der Alltag und die abendlichen „fünf Minuten“ beim Hundekind werden länger und massiver. Manchmal gibt es sie sogar tagsüber und mit der Zeitangabe von fünf Minuten haben sie irgendwie auch so langsam gar nichts mehr zu tun. Die Stubenreinheit leidet, ganz zu schweigen von den eigenen Gliedmaßen, die zunehmend Spuren der Welpenzähne tragen – wie auch das Mobiliar, die Leine oder anderes. Vielleicht wird das Ganze auch mit Ton untermalt.

Ganz klar, dem Zwerg muss langweilig sein! Also noch eine Schippe drauf. Noch mehr spielen, noch mehr rausgehen. Auslastung muss her. Noch länger mit Kumpels spielen. Alle sagen, ein Hund muss müde gemacht werden. Und nur er selber weiß wann es genug ist.

Moment mal. Wirklich? Weiß ein Hund, wann es genug ist? Und wie zeigt er das eigentlich, wenn es denn dann genug ist. Na klar: Er legt sich hin und schläft! Aber das tritt nicht ein …?

Mitnichten. Aber warum?

Betroffen sind vor allem Besitzer von Arbeitshunden und Mischlingen aus diesen Rassen. In einer Welpengruppe hat man zu einem sehr hohen Prozentsatz Hunde aus dem Bereich des Jagdgebrauchs oder der Aufgaben rund ums Vieh. Die Beweggründe der Käufer sich einen solchen Hund zuzulegen beruhen meist auf Optik, zufälligen Begegnungen mit einzelnen Exemplaren der Rasse oder Erzählungen von Bekannten. Auch Rassebeschreibungen werden recherchiert. Dort findet man häufig einen großen Abschnitt über die Optik des Hundes – Farbe, Länge des Fells und so weiter. Im kleinen Absatz über das Wesen stehen dann zum Beispiel so allgemeine Formulierungen wie „sensibel“ – ja, wer will schon einen Grobklotz, das passt doch – oder „intelligent“ – das ist ganz wichtig, denn einen doofen Hund an der Seite, nein, das geht ja gar nicht – oder auch „aktiv“ – auch prima, dann kann man alles mögliche mit ihm machen und ihn zum Joggen mitnehmen – oder „kinderfreundlich“ – das ist immer gut – und so weiter …

Der Australian Shepherd lockt durch sein schönes äußeres Erscheinungsbild. Im Inneren steckt ein Arbeitshund.

Klingt doch alles genau passend. Und gut sieht ein Hund dieser Rasse auch noch aus. Da werden alle neidisch sein.

Doch, wie diese Begriffe in die Beschreibung kommen und was dahinter steckt, das bleibt oft im Dunkeln. Vieles beruht eher auf Hörensagen und Wunschdenken. Es wird auch fleißig voneinander abgeschrieben. Auch die Fehler, weil keiner hinter die Beschreibung schaut.

Auch hochspezialisierte Jagdgebrauchshunde finden zunehmend ihren Weg in die Familie.

Manche Formulierungen weisen zwar auf die richtigen Dinge hin, sind aber Begriffe aus dem Arbeitsgebrauch der Hunde und daher nur für „Insider“ korrekt zu interpretieren. Der Otto-Normal-Hundehalter hat eine völlig andere Assoziation dazu. Beispiel „sensibel“: Es bedeutet oft, dass Hunde dieser Rasse leicht lenkbar während einer jagdlichen Handlung sind, aber eben auch, dass sie jenseits der Jagd sehr leicht auf Dinge aus der Umwelt reagieren. Sie können die Reize, die auf sie einprasseln, schlecht oder gar nicht filtern. Ihr eigentliches Arbeitsgebiet ist vielleicht der einsame Wald. Ab und an gibt der Mensch mal Kommandos, auf die diese Hunde reagieren sollen, ansonsten sind da nur das Wild, der Geruch, der Job und der Wald. Nun kommt ein solcher Hund in eine Familie. Seine Sinnesorgane nehmen alles ungefiltert auf: Bewegungen, Geräusche, Gerüche. Es bleibt keine Zeit das zu verarbeiten, denn dann schießt schon das nächste auf den Hund ein. Ohne, dass sich der Besitzer dessen bewusst ist.

Aber warum legt der sich nicht einfach schlafen, wenn es ihm zu viel ist? Er kann das nicht! Allen Arbeitshunden ist es gemein, dass sie kaum ein Gefühl für ihre körperlichen und mentalen Grenzen haben. Und das soll so sein.

Warum? Eigentlich ist es ganz einfach. Ein Arbeitshund muss seinen Job erledigen bis der fertig ist. Dabei soll und darf er nicht irgendwann einfach sagen: „Nö, zu anstrengend, ich hör jetzt mal auf.“ Man stelle sich den Hütehund vor, der seine Jagd, also das Treiben des Viehs, abbricht, weil er keine Lust mehr hat und man steht zum Beispiel auf einer Straße …

Ein Hund darf und kann auch mal über seine Grenzen gehen. Doch der Besitzer eines Arbeitshundes im Einsatz weiß auch, dass der Hund danach eine Erholungsphase braucht und die bekommt er auch. Es ist nicht alltäglich, dass der Hund seine Grenzen überschreiten muss, sondern eine Ausnahme. Der Alltag besteht aus Nichts tun oder auch mal kleinen Routinejobs, die den Hund selten an seine Grenzen bringen. Und das ist gut so.

Das auf dem Bild ist Ana. Sie ist ein Podenco. Bildschön, handliche Größe und ein rundum freundlicher Hund.

Als Frauchen eines Morgens zur üblichen Gassirunde unterwegs war, befreite sie sich plötzlich aus dem Geschirr und rannte davon. Frauchen suchte und suchte, fand sie nach einer Ewigkeit von eineinhalb Stunden in einem Buschwerk fleißig beim Kaninchenjagen. Es dauerte noch eine halbe Stunde bis sie Ana einfangen konnte. Der Podenco hatte also zwei Stunden gejagt. Satt wie sie war, denn an Frühstück mangelt es Zuhause ja nicht. Und es ist nicht auszuschließen, dass sie sogar ein Kaninchen erwischt hat. Doch ums Fressen ging es ihr nicht.

Sie hat sich bei der Jagd an drei Füßen die Hälfte der Ballen abgerissen. Auf dem Heimweg merkte man ihr davon noch nichts an. Erst, als der Hormonrausch langsam versiegte, setzte das Empfinden für den eigenen Körper, für die Schmerzen wieder ein.

Wie verrückt ist das eigentlich solange zu jagen, dass es zu Verletzungen kommt, und das ohne etwas zu fressen? Genau darauf wurde ihre Rasse selektiert. Der Mensch formte verschiedene Arbeitshunde für bestimmte Zwecke. Dieses Formen bedeutet, dass ein Verhalten nicht mehr in der normalen Abfolge, im normalen Maß gezeigt wird, denn das würde nicht der Aufgabe dienen. Ein normales Jagdverhalten würde sehr schnell im Töten, Auffressen und Pause machen bis zum nächsten Hunger enden. Doch Arbeitshunde sind genetisch manipuliert. Sie bleiben in einer Sequenz hängen und führen diese zwanghaft immer wieder aus, ohne zum Ende zu kommen. Wird der Hund durch seinen Mensch gelenkt und dosiert, ist es kein Problem. Irgendwann stehen die Schafe ja auf der neuen Fläche. Oder man hat genug Kaninchen, um die nächsten Tage satt zu werden.

Der Border Collie – ein Arbeiter ohne Aus-Knopf.

Zurück zum Welpen, der frisch eingezogen ist. Er wird bombardiert mit Zuneigung, wird bespielt, darf Hundekumpels treffen und so weiter. Seine Menschen sind anscheinend nicht ausgelastet. Die müssen dauernd Ansprache bekommen und haben ein sehr großes Spielbedürfnis. Viel größer als das der Geschwister, die nicht mehr da sind. Puh. Als „ordentlicher“ Arbeitshund kommt man dem natürlich nach. Dem Mensch soll es ja recht gemacht werden. Der Hund ist im Dauerstress.

Der Labrador Retriever ist ein beliebter Familienhund. Doch das Erbe eines Arbeitshundes kann er nicht verleugnen.

Die Welpenbesitzer kämpfen sich irgendwie durch diese Zeit. Man sagt ihnen, das wird besser mit dem Beißen und Ausrasten. In gewisser Weise wird es das auch, denn der Junghund findet andere Wege des Stressabbaus. Ob die schöner sind … darüber mag man streiten. Es werden andere Dinge aktuell wie Sexualverhalten, Jagdverhalten und Territorialverhalten. Beim Auftauchen anderer Hunde ist der eigene Vierbeiner immer schlechter zu bremsen, die ersten zaghaften Jagdversuche auf Vögel treten auf oder er schnuppert sich davon, es wird die erste Fliege gemeldet und der Besuch ausgeschimpft. An der einen Stelle wird es wieder besser, an der anderen wird der Hund immer unkontrollierbarer. Je nachdem, wie der Hund züchterisch modifiziert ist, spezialisiert er sich und baut diesen Bereich aus. Manchmal auch ganz gezielt in eine Richtung, indem ein Ballsüchtiger draus gemacht wird. Er ist wie ihm Wahn. Nicht mehr erreichbar. Er hat ein neues Ventil gefunden!

Also wird die Beschäftigung noch mal hochgeschraubt. Der Hund muss doch mal müde werden …

Ein Teufelskreis. Wie soll der durchbrochen werden? Am besten, in dem es gar nicht hineingeht, in den Teufelskreis. Wir drehen also noch einmal die Zeit zurück. Der Welpe ist beim Züchter. Dort lebt er mit seinen Geschwistern, seiner Mutter, vielleicht noch anderen Hunden. Die Mutter, die anfänglich immer zur Verfügung stand, beginnt im Laufe der Zeit Öffnungszeiten für die Milchbar einzuführen und zieht sich auch immer wieder selbst zurück. Der Welpe erlebt die erste Zurückweisung, eine Situation, in der er nicht bekommt, was er gerne hätte. Auch die Menschen, die dort anwesend sind, stehen nicht uneingeschränkt zur Verfügung. Idealerweise lernt der Welpe in vertrauter Umgebung beim Züchter bereits regelmäßig Neues kennen: andere Umgebungen durch kleine Spaziergänge, Auto fahren, fremde Hunde, andere Menschen, das Tragen eines Halsbands und/oder Geschirrs, das Alleinsein ohne Geschwister und Mama, Handlingmaßnahmen und die Erholung von solchen Erfahrungen. Je mehr von dem vorkommt, mit dem er im neuen Zuhause konfrontiert wird, desto weniger belastend ist der Wechsel in das neue Heim. Und desto mehr Kapazitäten hat er für die neuen Dinge, die ganz automatisch noch kommen, in seinem kleinen Köpfchen frei.

Da hat Papa offensichtlich gerade keine Lust auf seinen Sprössling. Zurückweisung, auch von vertrauten Sozialpartnern, gehört zum Leben.

Selbst bei bester Vorbereitung ist das neue Leben immer noch voll von Reizen, die verarbeitet werden müssen. Neu ist in der Regel das tägliche Laufen an der Leine. Es ist eine sehr große Konzentrationsübung, die in sehr kleinen Schritte aufgebaut werden muss und für die der Welpe Ruhepausen benötigt, um die richtigen Verknüpfungen machen zu können. Gleichzeitig gibt es neue Regeln und Übungen und es muss die neue Umgebung verarbeitet werden. Die neuen Menschen, die man trifft, muss man einordnen. Das Treffen von anderen Hunden braucht auch viel Energie. Daher empfiehlt es sich, dem Welpen das eigene Zuhause als Ruhebereich zu etablieren. Bringt man dem Zwerg bei, dass man Zuhause eine ruhige Kugel schiebt und das dies Pausenzeit ist, in der all das im Schlaf verarbeitet werden darf und soll, was draußen erlebt und trainiert wird, sollte es keine Ausraster geben. Natürlich haben Welpen ein gewisses Spielbedürfnis. Überkommt es sie, können sie Zuhause mit zur Verfügung stehendem Spielzeug für sich selbst spielen. Meist erkennen sie dabei ganz gut, wann es reicht, während sie beim Spiel mit ihrem Menschen dieses Maß nicht so recht einschätzen können.

Draußen kann man das Spiel übrigens wunderbar zur Belohnung einsetzen – z.B. beim Training des Rückrufs. Aber auch hier gilt es nicht zu übertreiben. Kurz und gut.

Kleine Spielrunde zur Belohnung beim Üben draußen.

Zuhause sollte der Welpe erst gar nicht lernen, dass man ab jetzt immerzu sofort frei auf alle Sozialpartner zugreifen kann. Das kennt er vom Züchter eigentlich schon. Es wäre daher dumm es dem Hundekind abzutrainieren, um dann später ein Problem beim Training zum Alleinbleiben zu bekommen. Ein abgetrennter Bereich mit Sichtkontakt zu seinen Menschen ist für den Einstieg ins Training zum Alleinlassen bestens geeignet, denn genau so kennt er das schon. Es bietet außerdem die Möglichkeit für den Welpen Pause zu machen, richtig Ruhe zu finden.

Im Schlaf werden all die Dinge verarbeitet, die im Alltag auf den Welpen einprasseln.

Regelmäßige Kontakte zu Hunden verschiedenen Alters ermöglichen dem Welpen auch ein Spiel mit Artgenossen. Aber hier muss man schon wieder genau hinschauen – sehr schnell sind die eifrigen Arbeitstiere beim Spiel mit anderen Hunden drüber und benötigen eine Pause. Meist liegt man mit fünf bis zehn Minuten freiem Spiel in einem vernünftigen Rahmen. Deshalb ist es auch gut recht häufig den Kontakt zu älteren Hunden bei kleinen Spaziergängen zu suchen, die mit Spielen nicht so viel im Sinn haben. Die Erfahrung, dass nicht jeder Artgenosse schon prophylaktisch zum Herzrasen wegen der Erwartungshaltung eines wilden Spiels führen soll, ist wichtig und maßgeblich für die Zukunft.