Wirklich? Auf den Bildern sieht man Nanuk. Einen jungen Herdenschutzhund-Retriever-Mischling, der in meinem Grundkurs mitmacht. Die Aufgabenstellung ist einfach: Er soll sich auf Kommando hinsetzen. Da er nicht erst seit gestern bei seinen Besitzern lebt und diese ihn auch von Anfang an erzogen haben, ist das Sitzen auf Geheiß für ihn alles andere als neu. Trotzdem reagiert er so gesehen komplett falsch darauf: Er geht mit dem Vorderkörper leicht nach unten, schaut nach den anderen Hunden, geht dann einen Schritt zurück und bellt seine Besitzerin an. Boah wie frech!!!



Oder?
Nein, das ist nicht frech. Das ist Überforderung. Aber wie kann ihn ein so simples Kommando überfordern? Ganz einfach: Das Gehirn gibt es in diesem Augenblick nicht her. Warum? Das ist ja wohl nicht viel verlangt! Den Popo auf den Boden machen. Ts.
Junghunde befinden sich mitten in der Gehirnentwicklung. Ja, das weiß man ja. Aber was heißt das eigentlich? Wenn die Hormone die Entwicklung vom Welpen zum erwachsenen Hund anstoßen, dann gehört dazu viel mehr als die Pubertät, also Sexualentwicklung.
Sozialkontakte verändern sich
Der Hund muss in diesem Zeitfenster lernen anders mit Artgenossen umzugehen. Welpenverhalten passt nicht mehr. Wie man sich als erwachsener Hund benimmt, weiß er noch nicht.
Sexualverhalten entwickelt sich
Und dann gibt es da plötzlich nicht nur jüngere und ältere Hunde, sondern weibliche und männliche. Und diese eine Hündin, die ist sooooo toll. Das war ihm gar nicht aufgefallen, als er noch Welpe war. Außerdem werden plötzlich Gerüche so interessant. Nicht nur wegen der anderen Hunde.
Jagdverhalten erwacht
Auch Wildgerüche nimmt der Hund plötzlich wahr. Und, wenn selbiges sich irgendwo zeigt. Dann kribbelt es in einem und man möchte losstarten. Warum genau, das weiß der Hund noch nicht. Aber er weiß, dass er da irgendwie was tun muss.
Bewachen wird wichtig
Außerdem ist manches plötzlich gruseliger als vorher. Das hat man vorher auch gar nicht so richtig wahrgenommen. Und man muss seinem Besitzer jetzt sagen, dass die Welt gruselig ist. Vor allem zuhause, wenn man was meint zu hören.
Das ist eine ganze Menge, womit sich so ein heranwachsender Hund auseinandersetzen muss. Wo er lernen muss, wie man sich benimmt, wie man das wann und wo verwendet und wann und wo nicht, weil man dann Ärger bekommt.
Die Kapazität vom Gehirn hat Grenzen
Man kann sich das vereinfacht so vorstellen: Es gibt einen Arbeitsspeicher im Gehirn, der in der aktuellen Situation genutzt wird. Der hat nur eine gewisse Kapazität. Dann werden in der Junghundeentwicklung noch drei ganz große neue Programme aufgespielt : Sexualverhalten, Jagdverhalten und Territorialverhalten. Diese Programme werden gestartet. Oft parallel. Der Arbeitsspeicher ächzt und stöhnt. Er ist ausgereizt. Nun kommt da der Mensch mit einem „Sitz!“. Beim Hund kommt nur an: „Irgendwas will der jetzt auch noch von mir. Ich kann nicht mehr. Der Kopf glüht.“ Und so muss der Hund auf stur stellen, weil sonst das Gehirn im wahrsten Sinne des Wortes überlastet wäre.
Der testet nichts aus, der braucht Hilfe
Nanuk hat in diesem Augenblick ganz viele andere Probleme, aber sicher nicht das, seine Besitzerin ärgern zu wollen. Denn dafür bräuchte er ja noch mehr Kapazitäten, die er gar nicht hat und außerdem: Welchen Sinn macht es, seinen wichtigsten Sozialpartner zu verärgern? Welcher Hund steht darauf sich zusätzlichen Stress einzuhandeln? Von dem, den er doch jetzt am dringendsten braucht, damit er lernen kann ein souveräner, erwachsener Hund zu werden.
Was tun? Das Kommando durchsetzen? Es kommt drauf an, was man darunter versteht. Natürlich hätte ich gerne, dass der Hund sich am Ende gesetzt hat, wenn ich das gesagt habe. Aber nicht, indem ich dem Hund noch mehr Stress mache. Ich mache das Gegenteil: Ich warte. Bis der Arbeitsspeicher wieder etwas freier wird, der Hund sich mit der Situation auseinandergesetzt hat und überhaupt mitbekommen kann, was ich möchte. Ich bleibe also geduldig stehen und gehe vielleicht sogar in den Anforderungen einen Schritt zurück – „frage“ den Hund erstmal, ob er mich mal kurz anschauen kann, und belohne das. Erst, wenn das möglich ist, „frage“ ich, ob ein „Sitz“ machbar ist. Noch nicht? Dann einfach noch mal etwas warten.
In dem folgenden Video sieht man eine gleiche Situation mit meiner damals sieben Monate alten Border-Collie-Hündin Aina. Obwohl in dem Augenblick keine sichtbare Ablenkung da ist, ist sie mit den Gerüchen und Eindrücken, die sie vorher erlebt hat, noch so beschäftigt, dass sie das „Sitz“ verweigert. Man kann es ab Minute 6:00 im Video sehen, wie ich damit umgehe.