Dem Hund Zeit geben

In der Ausbildung von Koppelgebrauchshunden hört man ihn immer wieder, den Satz: „Du musst dem Hund Zeit geben!“ In der Regel nicken dann alle und stimmen zu. Und ich frage mich dann immer, welche Bilder die Menschen in dem Augenblick im Kopf haben.

Auch ich höre mich diesen Satz bei fast jedem Training gegenüber den Besitzern mit jungen Hunden sagen. Doch was ist damit eigentlich gemeint? Ich möchte daher hier gerne schildern, was ich persönlich damit meine.

Zum Einstieg möchte ich einen kleinen Ausflug in die Entwicklung von Hunden vom Welpen zum adulten Hund machen. Dass ein Hund sich körperlich entwickelt, ist für jeden offensichtlich: Erst ist er klein (und niedlich), wächst und ist irgendwann (körperlich) groß. Doch zur gleichen Zeit entwickelt sich auch das Gehirn und damit das Verhalten. Es bleibt nicht wie es beim Welpen war. Der junge Hunde muss sich im Erwachsenwerden mit vielen neuen Dingen auseinandersetzen. Und es anstrengend und schwierig, wenn der Hund sich im Alltag mit vielen neuen Sachen auseinandersetzen muss, denn neben dem Jagdverhalten entwickelt er sich im Territorialverhalten, Sozialverhalten, Sexualverhalten und so weiter. Es gibt einfach unheimlich viel zu tun für den Kopf in dieser Zeit.

Schauen wir uns die Entwicklung des Jagdverhaltens an, also dem Verhalten, das zum Arbeiten des Viehs notwendig ist. Man kann es sich wie einen Werkzeugkasten vorstellen, der nach und nach bestückt wird. Aber er wird nicht nur bestückt, sondern auch die Qualität der Werkzeuge verändert sich im Laufe der Entwicklung. Das heißt, dass er anfangs mit ganz wenigen Werkzeug zurecht kommen muss, die qualitativ noch nicht alle Arbeiten zulassen. Dies ist meist der Zeitpunkt, an dem wir Menschen mit dem Hund das Training am Vieh beginnen. Hierbei ist es wichtig sich in den Anforderungen auf die Bestückung des Werkzeugkastens einzustellen. Doch wir Menschen wissen nicht in welcher Qualität welches Werkzeug vorhanden ist. Wir können es nur erahnen, wenn wir den Hund dabei beobachten, wenn er sie benutzt. Es ist wichtig hier genau hinzuschauen, denn ich als Mensch sollte vom Hund keine Aufgaben verlangen, für die ihm noch das passende Werkzeug in entsprechender Qualität fehlt, denn damit könnte ich mir nachhaltig Probleme in der weiteren Ausbildung schaffen. Trotzdem sollte ich den Hund mit den vorhanden Werkzeugen schulen und auch etwas fordern, damit er lernt sie effektiv und immer geschickter zu benutzen.

Dass das häufig eine Gratwanderung ist, kann man sich gut vorstellen. Manchmal hat man das Gefühl auf der Stelle zu treten oder sogar rückwärts zu gehen. Vor allem, wenn die anderen Bereiche ebenfalls Kapazitäten im Hundekopf fordern, weil auch dort die Werkzeugkästen sich verändern. Da kann es gut sein, dass der Hund mal kurzzeitig vergisst wie ein Werkzeug funktioniert, was er schon besser bedienen konnte oder gar denkt, dass es in seinem Werkzeugkasten nicht mehr drin läge. Der Kopf benötigt dann diese Pausen, weil er sonst überlastet würde.

Manchmal kann es gut sein in diesen Phasen das Training am Vieh mal für eine Weile ganz einzustellen. Doch diese Zeit kann und sollte man anderweitig nutzen, indem man nur Arbeiten am Vieh verlangt, für die die Werkzeuge noch da sind und die der Hund noch zu bedienen weiß. Außerdem kann und sollte man in den anderen Bereichen eine gute Kommunikation aufbauen. Das kommt auch dem Training am Vieh zugute, denn die Verständigung zwischen Mensch und Hund ist hier ein wichtiger Schlüssel für eine erfolgreiche Ausbildung. Man gibt dem Hund also die Zeit sich zu entwickeln, was nichts anderes heißt als ihn nicht zu überfordern, aber trotzdem weiter am und neben dem Vieh im Lernen zu begleiten.

Meiner Erfahrung nach sind die meisten Hunde im Alter von ca. 3 Jahren durch diese „wilden“ Zeit weitestgehend durch. Natürlich kann der Hund auch dann nur das liefern und leisten, worin ich ihn geschult habe. Davon entbindet mich das „Zeit geben“ natürlich nicht. Aber ab diesem Alter geht es im Training in der Regel ohne Einbrüche und längere Stagnation zügig vorwärts, wenn das Trainingskonzept stimmt.